Am Samstag, dem 16.12. standen wir um sechs Uhr auf, um um sieben Uhr beim Frühstücken in dem anderen Hostel zu sein und möglichst zeitig ein Taxi zu nehmen. Wir riefen das erste Mal ein
Uber-Taxi, und es klappte hervorragend! Wir gaben vier Personen ein, damit sie nicht ein extragroßes Taxi aussuchen und rückten hinten einfach zusammen. Meist sitzt Romy hier aber auf dem
Schoß.
Der Busbahnhof ist übersichtlich und sehr gut organisiert. Wir gingen zum Schalter von Coomotor, die nach San Agustín fahren, wie in unserem Reiseführer stand. Auf der Homepage hatten wir die
Abfahrtszeiten eingesehen und fanden 9 Uhr passend - nicht zu früh und mit zwölf Stunden Fahrzeit (für die knapp 400 km!) würden wir noch zu einer annehmbaren Zeit eintreffen. Der freakige
Hostelangestellte hatte uns am Vortag gesagt, es reiche, wenn wir das Ticket erst morgens kaufen, wir bräuchten nicht extra am Vortag durch die halbe Stadt fahren, um die Tickets zu
besorgen.
Die Dame am Schalter erzählte in einem schwindelerregenden Tempo etwas von noche (Nacht) und a la mañana (morgens) und Portolito (?) und wiederholte diesen Text auf Melanie's verständnisloses
Nachfragen gebetsmühlenartig unverändert schnell, zeigte aber irgendwann etwas auf dem Bildschirm. Der Bus schien wohl voll zu sein und wir könnten entweder nachts oder am nächsten Morgen fahren
(Toll, das Hostel war reserviert!), aber was hieß Portolito? Die anderen hatten währenddessen jedoch zwei junge Frauen wiedergetroffen, die vorgestern in dem veganen Restaurant am Nebentisch
saßen. Eine war offensichtlich muslimischen Glaubens und trug ein dementsprechendes Kopftuch- ein seltener Anblick hierzulande! Sie hatte uns vorgestern auf Deutsch angesprochen, wohnt in
Aschaffenburg und besucht gerade ihre kolumbianische Freundin. Sie war supernett und sehr offen, und wir hatten uns von Tisch zu Tisch eine ganze Weile unterhalten. Nun hatten wir die beiden also
in dieser 7-Millionen-Stadt wiedergetroffen!
Die beiden hatten dasselbe Problem, aber die Kolumbianerin hatte natürlich mehr als wir verstanden. Wir könnten um 9.15 Uhr nach Portolito, 40 Minuten von San Agustín entfernt, fahren. Von dort
führen alle zehn Minuten Busse. Wir beratschlagten (Fahren um die Uhrzeit dort noch Busse?), einigten uns aber schnell darauf, uns zur Not gestapelt ein Taxi zu teilen und besorgten die Tickets.
Die beiden heißen Latifa und Daniela (Daniela kann auch recht gut Deutsch sprechen.) und saßen nun im selben Bus.
Die Busgesellschaft war spitze! Für zwanzig Euro pro Nase bekamen wir in dem klimatisierten kalten Bus jeder Wolldecken, zwei Spucktüten (Na, das waren ja tolle Aussichten!), Ohrstöpsel für die
Minifernseher, Knabberkram und Wasserflaschen. Es gab außerdem saubere Toiletten... ein besserer Service als im Wingo-Flieger neulich!
Der erste Teil der Strecke, als wir nach Ewigkeiten (mehr als eine Stunde inkl. zähem Verkehr) aus Bogotá raus waren, war dann auch sehr kurvig, und sogar Melanie wurde irgendwann etwas schlecht.
Auf dieser Reise war es das erste Mal. Nils ist da viel empfindlicher und dopet sich hier regelmäßig prophylaktisch mit Reisetabletten. Aber auch die Kinder und sogar der gedopete Nils hatten
etwas zu leiden. Zum Glück war nach zweieinhalb Stunden Fahrzeit die schlimmste Kurverei vorbei und wir konnten unbeschwert den Ausblick auf die grünen Berge genießen, wenn auch Riesenaufkleber
der Busgesellschaft genau auf unseren Fenstern den Ausblick sehr erschwerten.
Wir machten leider keine Essenspause wie sonst und konnten nur auf die Schnelle irgendwelche ekligen Croissantverschnitte kaufen. Insofern war der Hunger groß, als wir zehn nach acht Portolito
erreichten. Aber erstmal war das Weiterkommen wichtiger, wir wollten hier ja nicht stranden. Der Busterminal war wider Erwarten ziemlich groß und sortiert. Wir hatten mit einem verschlafenen
Bergdorf mit hochgeklappten Bürgersteigen gerechnet.
Zum Glück sollte schon um halb neun, also inzwischen in zehn Minuten, der Bus nach San Agustín fahren. Zum Essensuchen zu knapp! Aus halb neun wurde dann aber neun Uhr! Der etwas kürzere Bus
hatte beim Einsteigen eine leichte Note nach Erbrochenem. Angeblich sollte ein Junge gerade gespuckt haben. Auf der Armlehne eines Sitzes war denn auch noch nichts weggewischt worden...
Nach einer knappen Stunde, also gegen 22 Uhr, hatten wir dann auch diese 27 km hinter uns gebracht und fragten einen Indianer mit Poncho nach dem Weg, der uns jedoch auch sofort irgendwelche
Touren aufschwatzen wollte. Da hatten wir jedoch gar keinen Nerv drauf, waren wir doch wirklich platt und hungrig. Was wir trotz unseres Zustands jedoch ausgiebig bewunderten, war der unglaublich
klare Sternenhimmel mit Millionen von Sternen. Gemeinsam mit Latifa und Daniela machten wir einen kurzen Fußmarsch durch das 11.000-Einwohnerörtchen, da ihr Hostel direkt hinter unserem lag, und
bezogen nach einem kurzen Abschied unser Hostel "Bambu", in dem wir von zwei älteren Holländerinnen, die Work and Travel machten, auf Deutsch empfangen wurden. Wie der Name schon vermuten lässt,
ist das Hostel mit viel Bambus gestaltet, dabei sehr extravagant, z.B. teilweise in den Fels gebaut, aber auch z.T. ziemlich hinimprovisiert. Es war zwar alles sauber und frisch gewaschen, aber
die Betttücher waren nicht mehr ganz neu und schon etwas fleckig. Glücklicherweise besitzen wir alle dünne Leinenschlafsäcke. Die Kinder meckerten, weil sie in einem voll besetzten Siebenerdorm
schlafen sollten und wir Erwachsenen ein Doppelzimmer hatten. Beim Buchen war jedoch nichts anderes mehr frei gewesen.
Inzwischen war der Besitzer eingetroffen, ein junger Typ, der unaufhörlich laut, polternd und abgehackt auf Spanisch oder Englisch redete, von sich offensichtlich sehr eingenommen ist und sich
gerne reden hört. Später bemerkte Nils, dass er witzigerweise genau die gleiche Tonlage wie mein in Spanien lebender Onkel hat, was durch das polterige und laute Sprechen erst nicht auffiel. Er
war so nett und führte uns zu seinem Lieblingsrestaurant, was für uns noch extra Essen zauberte. Den lauten Redeschwall auf dem Weg dahin konnten wir in unserem ausgelaugten Zustand jedoch nur
schwer ertragen.
So konnten wir noch etwas essen, obwohl alle totmüde waren. Gegen Mitternacht waren wir zurück!
Am nächsten Morgen ruhten wir uns nach der langen Bustour und der letzten anstrengenden Woche in zwei Großstädten erstmal im Hostel aus, das eine schöne Dachterrasse mit einem tollen Ausblick auf
die kolumbianischen Anden und das Örtchen hat.
In San Agustín war es wieder wärmer als in Bogotá, wo man im Schatten und abends sowieso eine Jacke brauchte. Regen hatten wir in Bogotá übrigens nicht abbekommen, obwohl es da viel regnen soll.
San Agustín liegt auf 1620m Höhe, also 1000m niedriger als Bogotá.
In der Mittagshitze nahmen wir ein Taxi zum Parque Archeológico, eine von vielen historischen Stätten hier in der Umgebung. Im 18. Jahrhundert wurden Statuen eines unbekannten Indianervolkes
entdeckt, die schon zur Zeit der Kolonialisierung hier nicht mehr lebten. Man weiß nicht warum. Die Statuen sind zwischen 30 cm und sieben Metern groß und stellen meist menschliche Gestalten dar,
die wie Monster aussehen, oder aber Tiere wie Frösche und Adler. In Souvenirshops in San Agustín kann man sich mit kleinen Statuennachbildungen zum Hinstellen oder als Schlüsselanhänger
eindecken.
Die nächste Nachtruhe wurde um halb fünf empfindlich von lautstarker, schrecklich künstlicher "Jingle Bells"-Musik und Lautsprecherdurchsagen gestört, die von einem durch den Ort fahrenden Auto mit großen Boxen auf dem Dach herrührte. Wir hatten solche Autos in den letzten Wochen schon öfter tagsüber gesehen. Wenn sie an einem vorüber fahren, versteht man sein eigenes Wort nicht mehr und bekonmt Ohrenschmerzen, wenn man sich nicht die Ohren zuhält. Insofern nützten da auch die Ohropax nichts, die wir in dem super hellhörigen Hostel mit dem fortlaufend laut redenden Besitzer eh benutzten. Anschließend hielt uns permanentes Hundegekläffe und ein Hahnwettkrähen wach. Zur frühen Morgenstunde reihte sich in den Kanon noch eine fleißige Motorsäge ein. Romy, der übrigens Ohrstöpsel nicht passen, schlief selig durch und bekam nichts mit. Beneidenswert!
Am Montag war der letzte Tag der vierwöchigen Schonzeit von Romy, jedoch durften wir am Spätnachmittag nun schon wieder mit ihr ein Krankenhaus aufsuchen. Diesmal war es allerdings top!
Zunächst frühstückten wir morgens erst einmal in dem wirklich hübschen kleinen Restaurant von unserem Ankunftsabend für 2€ pro Person Früchte mit Joghurt und Haferflocken, ein Sandwich,
Spiegeleier und superleckeren Kaffee mit Milchschaum.
Mittags fuhren wir mit einem bunten Holzbus zu einer Verengung des Rio Magdalena, der Estrecho del Magdalena. Der Bus hatte keine Türen, sondern an jeder durchgehenden Sitzreihe an der rechten
Seite einen kleinen Einstieg wie bei Fahrgeschäften auf dem Jahrmarkt. Er war voll, und die Leute rückten für uns zusammen. Nils unterhielt sich sofort angeregt mit einem Mann aus Bogotá, der
hier mit seiner Frau ein paar freie Tage verbrachte, sehr gutes Englisch sprach und schon mal in Hamburg war. Melanie wurde derweil von einer jungen Frau mit vielen Zahnlücken und einem Baby auf
dem Schoß auf Spanisch wegen der Mädchen angesprochen. Sie verstand nicht viel, da die Frau etwas nuschelte und sehr schnell sprach, außer "bonita" und "linda" (hübsch und niedlich) und nickte
immer nur höflich. Dass die Kinder und Nils aufgrund ihres hellen Äußeren Aufsehen erregten, hatten wir schon öfter gemerkt. Plötzlich fiel Melanie ein, dass ihr Portemonnaie fast leer war. Nils
hatte seins versehentlich im Hostel gelassen, wie wir feststellten. Was sollten wir tun? Wir konnten die Busfahrt beim Aussteigen nicht bezahlen! Die Kreditkarten lagen auch im Hostel. Der nette
Mann (Mauricio) bot sofort an, es für uns auszulegen, denn er hatte dasselbe Ziel, würde nachher kurz mit zum Hostel kommen und es sich wiedergeben lassen.
Soweit der Plan!
Wir hatten ein paar schöne Stunden am Fluss, der aufgrund einer Enge hier an einer Stelle zum Wildwasserbach wird und von flachen Felsen umgeben ist, auf denen man prima herumklettern kann. Wir
badeten alle trotz der Kälte, und die Kinder taten es den Einheimischen gleich und sprangen von einer Klippe ins Wasser. Ungefähr zwanzig Leute waren am Wasser und beobachteten nachher stets die
mutigen Springer. Romy fand dabei besondere Beachtung, wohl aufgrund ihres Alters und weil sie beherzt als Erste von den Dreien sprang. Ein Mann fragte sogar nach einem Foto mit den Mädels, wohl
weil das Aussehen hier besonders ist (Blond und Rot zusammen).
Gegen kurz nach Vier machten wir uns mit Mauricio und seiner Frau Angela auf zur "Bushaltestelle", also der engen Kurve an der Sandpiste den Berg hinauf, wo der Bus hält. Nebenan ist ein Platz
mit Fressständen, wo frisch gegrillt wird, und mit einem Stand, wo eine junge nette Frau aus Bananenfasern Hüte und Püppchen häkelt und auch allerlei anderes Zeug verkauft. Ihre Kinder spielten
um sie herum, und auf dem Platz war für diese Einöde richtig Leben, weil wohl alle hier ihre Familien dabei hatten. Während wir auf einem Mäuerchen saßen und auf den Bus warteten, der um halb
fünf kommen sollte, hörten wir das Geräusch einer platzenden Flasche. Ein paar Sekunden später sagte Romy neben Melanie leise "Aua", lüpfte etwas ihr Söckchen an und fing an zu schreien. Ein
Schnitt von ca. einem Zentimeter Länge war an ihrem Knöchel, die Sehne war zu sehen. Ein großes Stück eines Flaschenhalses mit etwas Bauch lag nicht weit entfernt. Nun begann es auch zu bluten
und Nils drückte den Schnitt zusammen. Nach und nach kamen alle Leute herbei, guckten betreten, brachten Pflaster und Papierserviertten, einen Stuhl und schließlich einen Schemel zum
Fußhochlegen. Sie meinten alle, wir sollten ins Krankenhaus von San Agustín fahren zum Nähen. Die einzige, die sich nicht rührte, war die Frau vom Grill!
Der Bus ließ auf sich warten und war um fünf Uhr immer noch nicht da. Mauricio gelang es schließlich, einen Wagen anzuhalten, der uns runter in den Ort nehmen würde. Die nette Handwerkerin
schenkte Romy im Gehen noch ein geknüpftes Kinderarmband. Wir durften auf die Ladefläche unter einer Plane und wischten erstmal die beiden Sitzbänke rechts und links sauber, die vollgestaubt
waren. Romy durfte ihr Bein hochlegen auf den Schoß von Angela gegenüber. Während der ruckeligen Fahrt auf der staubigen, unbefestigten und kurvigen Straße betrachteten wir einige der
ungerösteten beigen Kaffeebohnen, die zuhauf in einer Ecke lagen.
Mauricio managte im Ort die Weiterfahrt zum Krankenhaus, und wir wurden von dem Planwagen direkt bis zur Tür gebracht.
Er und Angela kamen mit rein und warteten, bis Romy fertig war. Wir kamen schnell dran und wurden von einer freundlichen jungen Ärztin behandelt, die ausgezeichnetes Englisch sprach und Romy sehr
geschickt mit drei Stichen nähte, nachdem sie sie lokal betäubt hatte. Romy jammerte nur erst ziemlich bei der Jodbehandlung, war aber auch da sehr tapfer. Das Krankenhaus war sehr hell und
sauber und erfüllte damit völlig die Standards, die wir gewöhnt sind. Nur das Laken auf der Liege war kein Abreißpapier, sondern ein Stofftuch. Das anschließende Tippen des Berichts dauerte am
längsten.
Mauricio bezahlte die Rechnung bar, fuhr mit den Mädels, Melanie und Angela per Taxi zum Hostel und bezahlte auch hier (während Nils mit Ian zu Fuß ging), ließ sich von Melanie das Geld
wiedergeben und machte sich mit Angela schnell auf zum Bus nach Pitalito, wo sie ihr Hotel hatten. Inzwischen war es halb sieben.
Gegen sieben Uhr machten wir uns auf zu einer Apotheke, um Romy's Rezept einzulösen. Wir trugen Romy dabei abwechselnd. Dort trafen wir ein deutsches Pärchen um die sechzig wieder, die in Bogotá
an der Free Walking Tour teilgenommen hatten. Wieder ein Zufall! Sie empfahlen uns eine lebendige Krippe in der Kirche nebenan, und tatsächlich war dort auf dem Kirchhinterhof mit viel Aufwand
und der üblichen Deko ein halber Zoo aufgebaut worden mit Ziegen, Rindern, Pferden, Schweinen, Enten, Gänsen, Hühnern, Truthähnen, Kaninchen, Meerschweinchen, Emus und ein paar Fressbuden. Romy
und Zoe waren entzückt, aber wir hielten uns nicht lange auf, da Romy echt schwer wurde und der Hunger nagte. Also machten wir uns wieder auf zu unserem Lieblingsrestaurant und trugen Romy
abwechselnd dorthin. Wir waren bis halb elf da, da Zutaten fehlten, die sie vergeblich versuchten zu besorgen, weshalb wir alle unser Essen nacheinander und zuletzt noch einen
Entschuldigungsnachtisch bekamen.
Eine Frau machte dort ein Selfie und fotografierte uns gaaanz zufällig mit, wie die Kinder messerscharf beobachteten. Für den Tag reichte es nun langsam mit der Extraaufmerksamkeit, fanden wir.
Übrigens aß kurioserweise die Ärztin mit ihrer Clique dort ebenfalls und grüßte uns freundlich. So wiederholte sich der Zufall mit der Ärztin aus Rivas, die wir ja auch im Restaurant wieder getroffen hatten, hier nochmal!